Wohin geht die Reise?

Die Sommersynode, die vom 2.-4. Juli 2020 in Stuttgart „hybrid“ – also sowohl digital wie analog – tagte, stand unter dem großen Vorzeichen der Coronakrise. Auch der prognostizierte Mitgliederrückgang und die Sterbehilfe waren Thema.

 

Außerordentlicher Bischofsbericht
Landesbischof July legte aufgrund des derzeitigen Ausnahmezustandes einen außerordentlichen Bischofsbericht zur aktuellen Lage vor und thematisierte darin die vielseitigen gegenwärtigen Herausforderungen. Im Gesprächskreisvotum der Lebendigen Gemeinde betonte Maike Sachs, dass es das „verlässliche Engagement von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen“ sei, „das die kirchliche Arbeit an der Basis trägt“ – auch jetzt in der Krise. „Grundlage ist nicht, was immer schon gegolten hat, sondern, was ewig trägt“, so Maike Sachs. Darum habe Kirche von der Hoffnung zu reden und die Gnade Gottes zu predigen. Außerdem gelte es, die aus der Krise geborenen neuen Angebotsformen in ihrer Vielfältigkeit zu erhalten und Ehrenamtliche zu stärken. In der Aussprache fügte Thomas Stuhrmann hinzu, dass es nicht darum gehe, digitale Gottesdienstformate gegen das, was in der Gemeinde vor Ort läuft, auszuspielen. Im Krisenmodus sei ersichtlich geworden, dass es die Gemeinde und die Pfarrperson vor Ort sind, die sich um die Menschen kümmern. Rainer Köpf holte nochmals in Erinnerung, dass Kirche während des Shutdowns oft leider nicht als „nah bei den Menschen“ wahrgenommen worden sei. Die seelsorgerliche Begleitung, gerade auch Sterbender, sei aufgrund der Situation und der kirchlichen Vorgaben zeitweise unzulänglich gewesen. Hieraus seien Lehren für zukünftige Situationen zu ziehen.

 

Wohin geht die Reise?
Die bisherige strategische Planung der Landeskirche wurde durch Covid-19 infrage gestellt. Direktor Werner erinnerte dennoch an den gleichbleibenden Kern der Landeskirche in der Verkündigung des Evangeliums und das daraus notwendige Handeln. Drei Schwerpunkte sollen es auch weiterhin sein: Der Pfarrdienst in seinem ganzen Auftrag von Verkündigung, Seelsorge und Bildung; der gesamtbildnerische Auftrag der Landeskirche für alle Generationen und das diakonische Handeln.

Oberkirchenrat Dr. Kastrup lud zu einer großen Reise mit dem „Ballon Kirche“ ein und fragte: Wieviel Luft haben wir noch? Welchen Ballast tragen wir mit uns? Welche Lasten müssen wir abwerfen, dass wir nicht an Höhe verlieren? Mit insgesamt 86 Millionen weniger Steuergeldern müssen Kirchengemeinden und Landeskirche rechnen. Das könne zwar aus den Ausgleichsrücklagen abgefedert werden, aber schon jetzt sollten 17 Millionen eingespart werden. Freilich komme für die Zukunft die schwere Aufgabe klarer Priorisierung auf uns zu.

Der Finanzausschussvorsitzende Tobias Geiger bewertet die mittelfristige Finanzlage als bedenklich. Es sei gut, dass die Rücklagen in den letzten Jahren so gut gefüllt worden seien. Aber wenn jetzt nicht konsequent gehandelt würde, käme die Landeskirche in gefährliche Schieflage. Der für die Mitte der 2020er-Jahre prognostizierte Rückgang passiere jetzt. Der Freiburger Studie folgend mahnte Tobias Geiger zur Besonnenheit und zu einer konsequenten Priorisierung. Dies hänge auch an der steigenden Zahl der Kirchenaustritte. Tobias Geiger motivierte dazu, dass die freien Maßnahmenmittel von 4 Millionen Euro für wirklich innovative und missionarische Anliegen eingesetzt werden sollen.

„Wie können wir mit dem, was wir gut können, für ein Leben mit Jesus werben?“, fragte Michael Schneider in seinem Votum und mahnte, verstärkt auf die Ehrenamtlichen zu achten. Die Menschen würden nur noch dann dabeibleiben, wenn sie es als sinnvoll erachteten. Maike Sachs warb dafür, dass man bei den Immobilienkonzepten in Zukunft dringend flexibel handeln sollte, und für das Gemeindeleben vor Ort mehr als starre Kriterien in den Blick nehmen sollte.

Um unter dem erhöhten Einsparungsdruck in Zukunft Schwerpunkte setzen zu können, installierte die Synode hierfür einen Sonderausschuss. Seitens der Lebendigen Gemeinde wirken hier Matthias Hanßmann, Maike Sachs, Tobias Geiger, Christoph Müller und Siegfried Jahn mit.

 

Der Wert menschlichen Lebens
Die Synode beschäftigte sich in zwei Tagesordnungspunkten mit der ethischen Fragestellung nach dem Wert menschlichen Lebens im Horizont der Pränataldiagnostik und der Sterbehilfe.

Zum einen wurde der Antrag zur Erhaltung einer Personalstelle der Beratungsstelle PUA (Pränatale Untersuchungen und Aufklärung), den Martin Wurster eingebracht hat, nun in großer Einstimmigkeit beschlossen. „Mit der PUA-Fachstelle erhebt die Württembergische Landeskirche ihre Stimme in den Fragen am Beginn des menschlichen Lebens“, so Jörg Beurer, Vorsitzender des Diakonieausschusses. Martin Wurster mahnte, dass es immer einfacher werde, am Anfang des Lebens ökonomisch zu selektieren. „Dass das, was Gott mit der Zeugung erschafft, ein Geschöpf Gottes ist, das er liebt und hinter das er sich stellt, egal, ob das Kind mit oder ohne Einschränkung zur Welt kommt“, darauf habe Kirche Jesu Christi hinzuweisen.

Zum anderen befasste sich die Landessynode mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe vom 26. Februar 2020. Dieser sieht ein Recht auf Selbsttötung unter Berufung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor und bewertet die Selbstbestimmung des Menschen höher als den Lebensschutz. Die Vizepräsidentin der Synode Andrea Bleher forderte, dass die Kirche sich bei der Erstellung der Gesetze einbringen müsse, um deutlich zu machen, dass Sterbehilfe nicht zum Normalfall werden dürfe. Es solle kein Druck auf die Schwächsten entstehen bis hin zu der Frage: „Darf ich noch da sein?“. In der Aussprache wurde der Ausbau der Palliativ- und Hospizarbeit und auch der Suizidprävention deutlich gefordert. Cornelia Aldinger erinnerte daran, dass Gott Leben schenkt über den Tod hinaus. Thomas Burk betonte, dass der Mensch die souveräne Verantwortung für sich selbst habe, sei zu kurz gegriffen, denn der Mensch sehe sich in der Verantwortung gegenüber Gott. Oberkirchenrat Prof. Dr. Heckel kündigte eine theologische Auseinandersetzung zum Sterbehilfeurteil an, das die Fragestellung aus christlicher Perspektive bearbeitet.

 

Auswertung der Kirchenwahl
Nach den Synodal- und Kirchgemeinderatswahlen am 1. Dezember 2019 führte der Praktische Theologe Prof. Dr. Lindner eine wissenschaftliche Auswertung der Wahlen durch und stellte diese während der Sommersynode vor. Entgegen der Erwartung hat die Möglichkeit einer Briefwahl die Wahlbeteiligung nicht gesteigert, stattdessen sank sie leicht von 24,3% (2013) auf 23,8% (2019). Die Unterschiede im Wahlverhalten sind je nach Alter, Kommunengröße und Region sehr unterschiedlich. Dabei sei zwar der Anteil der gemeindenahen Mitglieder weitgehend stabil geblieben, die Kirche würde aber kleiner. „Die württembergische Landeskirche zeigt das Bild einer sich verkleinernden Volkskirche“, urteilt Lindner, eine andere Kirchengestalt wie einer „gesundgeschrumpften Diasporakirche“ sei aber nicht feststellbar. Zudem lasse sich erkennen, dass der gemeindenahe Teil der Mitglieder in höherem Maße als anderswo „intrinsisch“ motiviert seien. Hierbei unterstrich Dr. Gabriele Schöll, dass eben diese innere Motivation entscheidend für unsere Kirche sei, darum sei die Förderung von Mission und eine persönlichen Gottesbeziehung unerlässlich.


Soforthilfeprogramm „Mutmacher“
Die Corona-Krise trifft alle Menschen, aber einige sind gerade finanziell in eine besondere Notlage geraten. Darum hat das Diakonische Werk Württemberg bereits im Mai als Soforthilfeprogramm  „Mutmacher“ ins Leben gerufen. Die Synode hat dieses Anliegen durch den MutMach-Fond nun mit einer Million Euro versehen, um über die Diakonischen Bezirksstellen einen finanziellen Beitrag zu leisten, existenzielle Not zu lindern. „Wir werden ganz schnell handeln“, bekräftigte Diakoniedezernent Kaufmann und verwies auf die große Not, etwa bei der Wohnungslosen- und Arbeitslosenhilfe. Kirche setze mit diesem Fond ein deutliches und klares Zeichen gegen Armut.

Neben dem einmaligen Betrag der Landeskirche, besteht außerdem die Möglichkeit, privat zu spenden. Der Spendenbetrag wird durch die Landeskirche verdoppelt.

 

Projektion zur Kirchenmitgliedschaft
Ein inhaltlicher Schwerpunkt des Samstags war die Präsentation der sogenannten Freiburger Mitgliedsstudie durch Dr. Fabian Peters. Demnach wird sich die Zahl der Mitglieder für unsere Kirche in den kommenden 40 Jahren halbieren, vorausgesetzt es wird nicht gegengesteuert.

In der Aussprache warnte Matthias Hanßmann, Kirche nicht immer nur in Mitgliedern zu denken. Es gäbe zahlreiche Menschen, die unsere Angebote in Anspruch nehmen, ohne Mitglied zu sein. Welches Bild vermitteln wir ihnen von Kirche? Welche Modelle der Beheimatung können wir bieten? Anja Holland forderte, dass die Kirche nicht nur beim Klima Ziele stecken und Konzepte entwickeln müsse, sondern ebenso auch für das Gewinnen und Binden ihrer Mitglieder. Es brauche klare Ziele und deutliche Schwerpunktsetzungen. Karl-Wilhelm Röhm warb dafür, den Religionsunterricht nicht zu einer „Weltkunde“ verkommen zu lassen, sondern dessen Chancen zu nutzen. Steffen Kern resümierte: „Wir brauchen eine noch differenzierte Wahrnehmung der Menschen im Umfeld der Kirche, aber auch einen Blickwechsel auf die Menschen, außerhalb unserer Kirche.“ Er warb für eine Vielfalt der Berufsgruppen in der Kirche, aber auch für einen geistlichen Prozess, der uns selbst vergewissert, damit Kirche ausstrahlt und einlädt.

 

Anträge und Online-Abendmahl
Verschiedene Anträge mit Impulsen für eine missionarische Kirche, Konfi 3 (Ute Mayer), Austauschprogramm für Hauptamtliche mit unseren Partnerkirchen (Christoph Lehmann), Förderung von christlichen Influencerinnen und Influencern (Prisca Steeb) und unsere Schöpfungsveranwortung (Markus Ehrmann) wurden eingebracht. Dazu kommen mehrere Anträge im Zusammenhang mit den digitalen (audiovisuellen) Aufbrüchen im Zusammenhang mit Gottesdienstübertragungen und auch digitalen Abendmahlsfeiern. Thomas Stuhrmann bittet dringend um Möglichkeiten, das Abendmahl wie in Zeiten von Covid-19 mit medialer Unterstützung umzusetzen. Mit angestoßen durch einen Grundsatzbeitrag der ChristusBewegung, in Form eines Artikels von Steffen Kern, wurde der Theologische Ausschuss damit beauftragt, sich dieses Themas anzunehmen. Steffen Kern wies nochmals ausdrücklich auf die diakonische Dimension des Abendmahlfeierns bei „Stunde des Höchsten“ hin, das kürzlich in der Diskussion stand. Er sagte weiter, dass die theologische Reflexion wichtig sei und man fragend und suchend an die damit zusammenhängenden Fragen herangehe.

Matthias Hanßmann, Anja Holland, Christian Nathan, Maike Sachs, Prisca Steeb

 

Hier können Sie das Gesprächskreisvotum-LG-Zum-Bischofsbericht-Sommer-2020-Maike-Sachs.pdf

und hier Gesprächskreisvotum-LG-Sommersynode-Mittelfristplanung-2020-Michael-Schneider.pdf abrufen.

Hier download dieses Berichtes: SynodeAktuell_2020-07-2-4_Sommersynode.pdf