Am 20. Januar 2019 jährt sich der Todestag eines sog. „Stillen im Lande“: Johann Michael Hahn. Wer war dieser Mann? An dessen Beerdigung am 23. Januar in Sindlingen wird von Besuchern Folgendes mündlich überliefert: Es regnete heftig. Eine Viertelstunde, bevor der Sarg aus dem Haus getragen wurde, brach aber die Sonne durch die Wolken und ein kräftiger, bunter Regenbogen wölbte sich von dem Sarg vor dem Haus bis zum Grab in seiner Halbkreisform und hielt so lange an, bis der Sarg ins Grab gesenkt und die Besucher der Beerdigung sich vom Friedhof wieder entfernt hatten.

Auf seinem Grabstein auf dem kleinen Friedhof in Sindlingen ist die kurz vor seinem Tod von ihm selbst verfasste Inschrift bis heute zu lesen. Sie ist eine Zusammenfassung seiner Theologie und heißt:

„Hier liegt sie, meine Wanderhütte,

nun habe ich ein himmlisch Haus;

nun bin ich fort aus eurer Mitte,

denn jetzt ist meine Wallfahrt aus.

Im Grabe kann ich nicht verderben,

das Leben fand ich ja im Sterben,

im Geistleib werd ich auferstehn.

Ich werde meinem Jesu gleichen,

von dem ich hier nicht wollte weichen;

das sollet ihr dereinsten sehn.“

Michael Hahn wurde am 2. Februar 1758 in Altdorf geboren. Schon als Junge fiel er auf als außergewöhnlich still und sensibel. Seinem Vater gefiel dieser geistliche Zug an seinem Sohn nicht, er hätte es lieber gesehen, wenn er mit der Dorfjugend umhergezogen wäre. An einem Karfreitag erlebt er im Alter von 17 Jahren eine tiefe Bekehrung als in der Kirche das Lied gesungen wurde „Der am Kreuz ist meine Liebe“. Von da an wollte er durch nichts mehr seinen am Kreuz für ihn gestorbenen Heiland betrüben. Weil der Vater Angst hatte, dass er sich zu einem frommen Phantasten entwickeln könnte, sollte er Metzger lernen und auswärts zum Arbeiten geschickt werden. Die dritte Frau des Vaters, der zweimaliger Witwer war, unterstützte den Sohn jedoch und verlangte von ihrem Mann, dass er ungehindert seine geistliche Berufung daheim leben könne, was dann auch geschah. In Altdorf erlebte er mit 20 und mit 22 Jahren eine „Zentralschau“, in der er, wie er selbst schreibt, Gott unmittelbar erkannte und vom Geist Gottes erleuchtet wurde und sah, wie alles von Gott herkommt und in ihm beseht und durch ihn wiedergebracht wird.

Was Hahn in dieser Schau sah, schrieb er nächtelang auf, vernichtete später aber alle diese Aufzeichnungen. Mit der Zeit aber fing er an, in Privatversammlungen darüber zu reden und davon zu erzählen. Überall, wo er auftauchte, fanden sich viele Menschen ein und wollten ihn hören. Freunde schrieben auch auf, was er sagte und verbreiteten Abschriften davon. Diese Versammlungen fanden nicht immer die Zustimmung der Kirche und ihm wurde nahegelegt, sich mit seinem Reden zurückzuhalten. So machte er sich auf eine Reise, besuchte Johann Caspar Lavater in Zürich, ging nach Basel, ins Elsass und nach Straßburg und andere Städte und besuchte dort Freunde. Ihn so aus dem Blickfeld in Württemberg zu nehmen, gelang aber auf Dauer nicht, denn als er wieder auftauchte, strömten immer mehr Menschen zu ihm und wollten ihn hören. Selbst wenn er im Ländle unterwegs war und er Freunde besuchte, kam es in diesen Ortschaften zu spontanen Stunden, in denen er sprach und die Menschen an seinen Lippen hingen. Des Öfteren musste er sich deshalb vor der Obrigkeit verantworten, wurde verhört und sogar kurzfristig eingesperrt. Nach eingehenden Gesprächen mit Dekanen, Pfarrern und Richtern wurde immer wieder aufs Neue festgestellt, dass er ein Kind des Friedens sei und keine separatistischen Tendenzen habe. Er selbst blieb seiner Kirche immer treu und auch alle, die in seine Stunden kamen.

Nach dem Tod seines Vaters zog er von seinem Elternhaus in Altdorf nach Sindlingen. Auf dem Hofgut der Herzogin Franziska von Hohenheim, der zweiten Ehefrau Herzog Karl Eugens, hatte er seinen Wohnsitz. Dort lebte er in reichsunmittelbarem Gebiet mitten in Württemberg ab seinem 37. Lebensjahr beim Gutsverwalter der Herzogin, welcher ihm einen Teil seiner Geschäfte übertrug. Unter dem Schutz der Herzogin, die im Schloss in Sindlingen wohnte, konnte er ungestört – ohne von der Kirche kontrolliert, gestört oder verfolgt zu werden – seine Erbauungsstunden abhalten, die regen Zulauf fanden. Selbst bei den Bewohnern des Gutshofes und der Herzogin war er sehr beliebt. Später lebte er dort in einem eigenen Haus, zeitenweise umgeben von Freunden und konnte ungestört Besuche empfangen, Briefe schreiben, Lieder dichten und Schriften verfassen

Bis heute werden diese in den Stunden der Hahnschen Gemeinschaft gelesen und ausgelegt. Insgesamt umfasst das Werk Michael Hahns mehr als 18.000 Seiten und ca. 2.000 Lieder.

Michael Hahn träumte von einer Gemeinde, wie sie von den ersten Christen gelebt wurde. Er beschrieb, was in dieser Gemeinde gelten müsste. In der Brüdergemeinde in Korntal sollten diese Regeln unter seiner Leitung verwirklicht werden. Als die Brüdergemeinde Korntal im Februar 1819 gegründete wurde, war Michael Hahn kurz zuvor gestorben – am 20. Januar 1819 im Alter von fast 61 Jahren.

Die Anhänger Hahns formierten sich als Hahnsche Gemeinschaft. Um 1815 zählte sie 10.000 – 15.000 Mitglieder, 1874 wurde sie ein e. V., heute gehören ca. 370 Gemeinschaften mit ca. 5.000 Besuchern dazu. Bis heute sind die Mitglieder der Hahnschen Gemeinschaft Mitglieder der Landeskirche, besuchen die Gottesdienste und sehen die Gemeinschaftsstunden als Ergänzung und Vertiefung ihres geistlichen Lebens. Sie sind wie ihr Gründer die „Stillen im Lande“.

Traugott Messner ist Pfarrer in Holzgerlingen und Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Lebendige Gemeinde“.