Weichenstellung – wie gleisen wir unsere Kirche auf?

Die Herbstsynode, die vom 26.-28. November 2020 in Stuttgart „hybrid“ – also sowohl digital wie analog – tagte, drehte sich unter anderem um die strategische und inhaltliche Ausrichtung der Landeskirche. Dabei wurde eines deutlich: Die Württembergische Landeskirche steht vor einer grundlegenden Weichenstellung.

Bischofsbericht „Kirche ist Diakonie – Diakonie ist Kirche“

Den Startschuss der Synodaltagung gab der Bericht des Bischofs unter Mitwirkung von Dieter Kaufmann, dem scheidenden Vorsitzenden des Diakonischen Werkes. Bischof July betonte die Bedeutung der Diakonie, gerade auch während der Pandemie, und stellte heraus, dass Kirche und Diakonie untrennbar zusammengehören. Im Gesprächskreisvotum der Lebendigen Gemeinde (LG) schloss sich Rainer Köpf dem Dank für die gegenwärtigen Dienste in der Diakonie an. Angesichts eines zunehmenden Wettbewerbs mit sozialen Einrichtungen freier Träger und gleichzeitig sinkenden Mitgliederzahlen regte Köpf an: „Wäre es nicht besser, kleiner, aber dafür klarer profiliert evangelisch zu sein?“ Dabei verwies er auf die Ursprünge der Diakonie im Pietismus, in der Erweckungsbewegung und der inneren Mission, die durch diakonisches Handeln das Evangelium mit der Tat, aber auch mit dem Wort in die Not dieser Welt getragen haben.

In der Aussprache kritisierte der Blaufelder Dekan Siegfried Jahn (LG) die Gleichsetzung von Kirche mit Diakonie als zu eng. Für die Reformatoren sei die Kirche viel mehr creatura verbi, eine Schöpfung des Wortes gewesen und nicht der Tat. Ute Mayer (LG) bedankte sich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Diakonie und verwies ebenfalls auf das Profil der Diakonie. „Gerade in der Hospizarbeit wird weltanschauliche Neutralität den Menschen nicht gerecht“, so Mayer. Schließlich mahnte Dr. Gabriele Schöll (LG), Diakonie müsse die Einheit von Leib, Seele und Geist im Blick behalten. „Der Mensch ist nicht nur hilfsbedürftig, sondern ebenso erlösungsbedürftig“, betonte Schöll. Kirche müsse also nicht nur diakonisch, sondern ebenso missionarisch sein.

Personalstrukturplanung

Mit der „Personalstrukturplanung“ hat die Württembergische Landeskirche ein Instrument, um die Stellenbedarfe und künftigen Herausforderungen im Pfarramt und in der Religionspädagogik durch Modellrechnungen zu prognostizieren. Der Landessynode wurden die aktuellen Zahlen zur Kenntnis gegeben. Dabei wurden zugleich einige Aufgaben für die Zukunft sichtbar. Beispielsweise müssen nach aktuellen Berechnungen für den Pfarrdienst ab 2045 mehr als 60 % der Kirchensteuermittel aufgewendet werden. Angesichts dieser Entwicklungen forderte der Vorsitzende des Finanzausschusses Tobias Geiger (LG) notwendige Weichenstellungen, damit auch in Zukunft Handlungsspielräume erhalten bleiben. In Bezug auf die Personalstrukturplanung für Religionspädagoginnen und Religionspädagogen machte Siegfried Jahn als Ausschussvorsitzender für Bildung und Jugend auf die wachsenden Schülerzahlen bis 2030 aufmerksam. Um den damit ebenso wachsenden Stellenbedarf abdecken zu können, müsse das Image dieses Berufsstandes verbessert werden, insbesondere bei jungen Männern. Sie sind bei den derzeitigen Neueinstellungen stark unterrepräsentiert.

Strategische Planung und Haushaltsplan 2021

Pfarrdienst, Bildung und Diakonie – diese drei Schwerpunkte benannte der Direktor des Oberkirchenrats Stefan Werner in seiner Strategischen Planung. Matthias Hanßmann dankte im Gesprächskreisvotum der LG dem Direktor für sein mutiges Steuern in stürmischer Zeit. Gleichzeitig übte er aber auch Kritik an der Wahl der strategischen Schwerpunkte. Der Begriff „Pfarrdienst“ sei zu eng gefasst, vielmehr ginge es um Verkündigung im weiteren Sinne. Darum forderte Hanßmann in Anlehnung an das EKD-Papier „Auf gutem Grund“, auch Mission als eigenen strategischen Schwerpunkt aufzunehmen: „Wenn Kirche nicht missioniert – also zum Glauben und einem Leben mit Jesus Christus einlädt – dann gibt sie sich auf.“ In der Aussprache mahnte Beate Keller (LG) an, das Ehrenamt neben dem Pfarrdienst stärker in den Fokus zu nehmen.

In Kürze skizzierte Oberkirchenrat Kastrup die Herausforderungen des Haushaltes 2021: Die Kirchensteuer sei um gut 10 % eingebrochen, die Kirchenmitglieder nehmen deutlich ab und das Rechnungswesen wird auf das System der Doppik umgestellt. Insgesamt wird für 2021 eine Steuerzuweisung von 700 Mio. € erwartet. Tobias Geiger stellte als Vorsitzender des Finanzausschusses den Antrag einer einmaligen Corona-Zulage für die Kirchengemeinden in Höhe von 2,5 Mio. €, der von der Synode nahezu einstimmig beschlossen wurde. Gleichzeitig bat er um gemeinsame konstruktive Bemühungen, die Lesbarkeit und somit Verständlichkeit des Haushaltes deutlich zu verbessern. In der Spannung zwischen Realismus in der Situationsbewertung und Gottvertrauen auf zukünftiges Handeln, verwies er auf das Lied „Vertraut den neuen Wegen“. Chris Nathan, der das Votum zur Haushaltsplanung für die LG hielt, gab seiner Verwunderung Ausdruck: Für 2021 würde ein Haushaltsplan erstellt, als gäbe es Corona nicht. Er stellte die Frage, wie bei zurückgehenden Steuermitteln gleichzeitig 3 % mehr Ausgaben geplant werden können. In Zukunft seien für die Finanzplanung Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit, die Belange der örtlichen Gemeindearbeit und das geistliche Leben wesentliche Kriterien.

Für die inhaltliche Schwerpunktbildung und Ausrichtung der Kirche hatte bereits die Sommersynode einen Sonderausschuss einberufen, der Kriterien für die Priorisierung erstellen soll. In den Debatten um die strategische Planung und den Haushalt wurde deutlich, dass dieser Ausschuss in den kommenden Monaten eine wichtige Arbeit zu leisten hat und grundlegende Weichenstellungen für unsere Landeskirche erarbeiten wird.

Aktuelle Stunde zu Verschwörungserzählungen

Die aktuelle Stunde stand unter der Überschrift „Verschwörungserzählungen und der Widerstand gegen die Maßnahmen anlässlich von Covid-19“ und wie wir als Kirche mit Radikalisierungstendenzen umgehen. Matthias Hanßmann brachte an dieser Stelle unter Bezugnahme auf die gleichnamige Presseerklärung der ChristusBewegung Lebendige Gemeinde die Stichworte Dankbarkeit, Demut und Distanz in die Diskussion ein: Dankbarkeit gegenüber den politischen Verantwortlichen, für eine verantwortungsvolle Führung, Demut gegenüber den vorliegenden Einschränkungen, um wichtige andere Grundrechte zu schützen, Distanz zu den Tendenzen, das aktuelle Handeln unserer Regierung mit der Zeit des Nationalsozialismus gleich zu stellen, Distanz gegenüber Corona-Demonstrationen, bei denen zunehmend radikale Gruppen die geltende Rechtslage missachten. Dies sei kein Ort für christlich motivierten Protest, ganz gleich wogegen er sich richte.

Steffen Kern griff die kürzlich geäußerten Behauptungen auf, die schwäbischen oder sächsischen „bible belts“ würden Verschwörungen befördern, und stellte klar: „Der Pietismus in Württemberg ist nicht separatistisch, weltflüchtig oder wissenschaftsfeindlich, sondern landeskirchlich, diakonisch und aufgeklärt“. Damit ermutige er vielmehr zu einer Haltung und einem Handeln im Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

„Was bisher geholfen hat, trägt nicht mehr“, so kennzeichnet Maike Sachs die Krisen der Zeit. Kein Wunder, dass nach einfachen und radikalen Antworten gesucht werde. In einer Krise müsse Kirche deshalb an das geistliche Fundament erinnern, das zwar unsichtbar, aber deswegen nicht weniger real sei. Der anbrechende Advent verdeutliche das: Wir durchleben zunächst eine Zeit der Verheißung, um uns an Weihnachten daran zu freuen, dass sie sich in Jesus erfüllt hat.

Verfolgung weltweit

Kirchenrat Rieth gab – wie jedes Jahr – einen bewegenden Bericht über die Situation verfolgter Christen. Aus dem Irak etwa seien 85 % aller Christen inzwischen geflohen. Ähnlich schwierig sei die Situation für Konvertiten im Iran. Rieth verwies auf die zunehmende Christenverfolgung weltweit. Allerdings sei die Verfolgung kein Alleinstellungsmerkmal für Christen. In vielen Ländern werde insgesamt die Religionsfreiheit verweigert. Sehr traurig tritt hierbei das Land Indien in Erscheinung. Ute Mayer appellierte, dass das Fürbittgebet kontinuierlich gepflegt werden sollte.

Wahlen und Anträge

Da die 12. EKD-Synode nur noch bis 2021 im Amt ist, wurden auf der Herbstsynode neue württembergische Vertreter gewählt. Mit Andrea Bleher, Steffen Kern und Dr. Friedemann Kuttler wird auch die LG in der 13. EKD-Synode mit Erfahrung und Sachverstand vertreten sein.

Der Antrag für einen Gemeinde- und Innovationskongress wurde mit großer Mehrheit angenommen und soll vom Oberkirchenrat umgesetzt werden. Damit ist der Weg frei, dass die Planungen für einen Kongress beginnen können, der neben den Themen Gemeinde und Innovation auch das Thema Ehrenamt stärken soll.

Ein federführend von Maike Sachs eingebrachter Antrag zur „Konzeption einer kontinuierlichen Begleitung der Theologiestudierenden“ wurde an den Theologischen Ausschuss verwiesen und wird dort weiter behandelt.

Chris Nathan, Anja Holland, Matthias Hanßmann, Maike Sachs, Prisca Steeb