Eine Frage des Schriftverständnisses

„Dieses Buch will ja nicht nur einen Konflikt beschreiben. Es will vor allem auch ein Mutmacher sein“, so schreibt Autor Markus Till in seinen einleitenden Worten. Um welchen Konflikt geht es? Für den engagierten Blogger tut sich ein Riss innerhalb der evangelikalen Bewegung in Deutschland auf. Kern der Debatte ist ein unterschiedliches Schriftverständnis. Daraus leiten sich dann verschiedene „Symptome“ ab, an denen dieser Dissens sichtbar wird: Etwa an ethischen Fragenstellungen, wie der Bewertung praktizierter Homosexualität, aber auch an christologischen Fragen wie der Deutung des Todes Jesu oder dessen leiblicher Auferstehung.

Ebenso spricht Till die auf kirchenleitender und Gemeindeebene  seit langem auch international diskutierte und relevante Frage an, wie das Verhältnis von Diakonie respektive sozialer Arbeit zu Mission zu bestimmen sei.

Natürlich schreibt Till dieses Buch nicht als Unbeteiligter: Er engagiert sich in seiner Kirchengemeinde im Schwäbischen vielfach und bezeichnet sich selbst als Evangelikaler. Dass in frommen Gemeinden nicht alles gut läuft, ist für ihn kein Geheimnis. Beim Lesen wird schnell klar: Markus Till analysiert den Konflikt, kommt nicht mit billigen Antworten und hat auch manche schmerzhafte Anfrage an die evangelikale Welt.

Kritische Rückfragen und Glaubenszweifel sind für Till innerhalb der Gemeinde erlaubt und müssen gehört werden. Ein Verdrängen von Anfragen führe nur zu noch mehr Unsicherheit und Verletzungen, die er bei den sog. „Postevangelikalen“ vorfindet.

Der promovierte Biologe Till formuliert ausgewogen, nutzt viele Zitate und lässt Evangelikale und Postevangelikale zu Wort kommen. Dabei verzichtet er auf verbale Sticheleien. Man spürt es dem Autor ab: Es geht Till um den Dialog, um ein echtes Fragen und Ringen, um „Diskussionen und Auseinandersetzungen, die mit offener Bibel geführt werden.“ Dabei nennt er zehn Kriterien für eine konstruktive Auseinandersetzung. Ihm ist es ein besonderes Anliegen, mit Sachargumenten um die Sache zu streiten und dabei kritisch die eigene Haltung zu überprüfen.

Inwieweit Dialog bei den „heißen Eisen“ praktizierte Homosexualität oder auch an der unmittelbar christologischen Frage nach der leiblichen Auferstehung Jesu funktionieren kann, muss sich in der Praxis zeigen. An einer Stelle würde ich zugespitzter fragen: Stehen zwei Menschen, die sich selbst als Christen bezeichnen, auf demselben Fundament, wenn einer die leibliche Auferstehung Jesu für unnötig oder falsch hält?

Till schließt sein Buch mit einer hoffnungsvollen Perspektive: Gebetshäuser, ein Zusammenwachsen mit der charismatisch geprägten Bewegung,  überkonfessionelle Zusammenarbeit und Vergebung gegenüber der Täuferbewegung sind für ihn Hoffnungszeichen, dass in dieser Kirche Erneuerung durch Christus geschieht: „Erneuerung ist für die großen Kirche in Europa keine Option. […] Erneuerung ist eine unausweichliche Notwendigkeit, die die Kirche Jesu aktiv anpacken und gestalten muss, wenn sie Zukunft haben will.“

Wer sich informieren will, womit die evangelikale Bewegung in Deutschland gerade ringt, ist bei diesem Buch genau richtig.

Fazit: Markus Till lädt in einer Zeit des Umbruchs mutig und vertrauensvoll dazu ein, um die biblische Botschaft zu ringen und keine Diskussion zu scheuen. Bemerkenswert ist dabei, dass Till ohne die oft anzutreffende Polemik auskommt. Ein wichtiger Beitrag zum innerevangelikalen Streit, der den Blick auf Christus richtet!

Andreas Schmierer (Tübingen) studiert Evangelische Theologie und bereitet sich derzeit im Albrecht-Bengel-Haus auf das Examen vor. Ehrenamtlich ist er im Redaktionsteam der Zeitschrift „Lebendige Gemeinde“ sowie als Referent und Autor tätig.

SCM R. Brockhaus – ISBN: 978-3-417-26880-5– 16,99 Euro