Maike Sachs

Wir wachsen in der Region zusammen. Wir entwickeln Verbindungen. Wir stärken das Starke und tragen einander in den Schwächen.

Das erste Mal ist mir der Gedanke von Mission in der Region während der Glaubenskursinitiative »Erwachsen glauben« begegnet. Angestoßen durch die EKD und finanziert durch eine großzügige Spende, hatten alle Pfarrämter einen Ordner erhalten, in dem die gängigsten Glaubenskurse vorgestellt wurden. Die Idee war nun, in einer Region – also einer Stadt, einem Bezirk oder Landkreis – an verschiedenen Orten verschiedene Glaubenskurse anzubieten. Die Werbung sollte gemeinsam sein, großflächig und an zentralen Orten.

Denn was einem allein nicht möglich ist – z. B. im Kino, in der Straßenbahn oder im Supermarkt an der Kasse zu werben – das ist gemeinsam möglich. Zeitgleich sollte die bunte Palette der Angebote eine bunte Palette von Menschen anlocken mit dem gemeinsamen Ziel, sie zum Glauben an Jesus einzuladen.

Bei diesem Konzept waren ganz unterschiedliche Erkenntnisse leitend, die bis heute bei Mission in der Region eine Rolle spielen.

  • Menschen sind ganz unterschiedlich in Alter, Erfahrung und Interessen. Das wird heute mehr denn je erlebt und gestaltet. Deshalb gibt es das eine Angebot für alle nicht mehr. Wenn aber das Evangelium die Menschen erreichen soll, dann muss es sie in der Welt erreichen, in der sie leben.
  • Mobilität ist für die meisten kein Problem, im Gegenteil: Wir wohnen im Ort A, arbeiten in B, kaufen in C ein und gehen zum Sport nach D. Entsprechend pflegen wir unsere Kontakte nicht nur mit der Nachbarschaft, sondern in einem Netzwerk, das uns manchen Kilometer abverlangt. Aber wir sind ja mobil!
  • Je breiter die Interessen der Menschen aufgestellt sind, umso weniger schafft es eine Kirchengemeinde, sie alle zu bedienen. Das kann ganz schön frustrieren, wenn das Herz dafür brennt, alle zu erreichen. Abgesehen davon reichen die Ressourcen heute oft nicht einmal mehr fürs vertraute Programm.
  • Doch – die »Kirche in der Region kann mit einem Angebot-Mix ein Grundangebot mit Ergänzungen, Profilen und Kooperationen zusammenbinden.« (Hans-Hermann Pompe).

Dabei kann sich Region sehr unterschiedlich definieren. Sie kann sich über einen oder mehrere Landkreise erstrecken, den Kirchenbezirk abbilden oder einfach eine Gruppe von Nachbargemeinden umfassen. Region ist zum einen Nähe und Vertrautheit. Die Region schafft Heimat und ist damit ein Gegenpol zur Globalisierung, die viele verunsichert. Die Menschen einer Region fühlen sich durch Dialekt, Geschichte oder Landschaft verbunden. Zeitungen orientieren sich z. B. in ihrer Verbreitung an Regionen. Gleichzeitig ist Region weiter als das eigene Dorf und sie ist vielfältiger, sodass sich Menschen zu Angeboten einladen lassen, die es zu Hause nicht (mehr) gibt.

Mission in der Region kann ganz klein beginnen. Vielleicht hat die eine Gemeinde Mitarbeiterinnen für die Kinderkirche, aber augenblicklich wenig Kinder vor Ort, während in der Nachbargemeinde ein Neubaugebiet entsteht mit vielen potenziellen Kindergottesdienstbesuchern.

Da legt sich Kooperation nahe, die sich vom kleinen Anfang über die beiden Ortschaften hinaus entwickeln kann. Möglicherweise sind die Kinderkirchteams anderer Nachbargemeinden an einer gemeinsamen Schulung mit einem exzellenten Referenten interessiert. Vielleicht inspiriert eine gemeinsame Zukunftswerkstatt zu neuen Ideen vor Ort. So kann Mission in der Region ihren Anfang nehmen.

Die Region schafft Heimat und ist damit ein Gegenpol zur Globalisierung. In der Identifikation mit dem eigenen Kirchturm liegt nämlich eine große Kraft.

Voraussetzungen

  • Die Gemeinden wagen den Blick über den eigenen Kirchturm hinaus.
  • Sie haben den Mut, sich einzugestehen, dass es gemeinsam besser geht als allein.
  • Sie üben ein, sich an den Möglichkeiten des anderen zu freuen, statt auf die eigene Strahlkraft zu pochen.
  • Sie lernen dabei gleichzeitig, das eigene Pfund, das sie einbringen, zu schätzen.
  • Sie reden miteinander, nehmen sich Zeit, miteinander eine gemeinsame Vision zu entwickeln, und planen, über die Idee bis hin zum fertigen Konzept.

Herausforderungen

In der Umsetzung allerdings gibt es auf dem Weg zur Mission in der Region einige Stolpersteine. Schließlich hat das bisherige Modell schon sehr lange funktioniert. Mehr noch, einer Ortsgemeinde oder Parochie ist es in die Wiege gelegt, dass sie mit sich selbst auskommen und alles im Vollprogramm bieten muss. Aushilfe von anderen ist bisher nur für den Notfall vorgesehen. In der Identifikation mit dem eigenen Kirchturm liegt nämlich eine große Kraft. Viel Engagement geschieht für »meine« Kirche an »meinem« Ort. Hier sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Abläufen, Räumlichkeiten, Strukturen und Kontakten vertraut. Aber auch die Liebe zur eigenen Gemeinde sitzt ganz tief. Ein jahrelanges Engagement für sie hat nicht nur Spuren hinterlassen, sondern eine enge Verbundenheit geschaffen.

In manchen Prozessen, die ich auf dem Weg zur Mission in der Region begleitet habe, kam die Intensität der Bindung an den eigenen Kirchturm erst mit der Zeit zutage. Es stellte sich heraus, dass es einfach ist, für die anderen etwas zu tun. Weitaus schwieriger ist es dagegen, um der Gemeinsamkeit willen etwas zu lassen bzw. es den anderen zu überlassen. Also, lieber – um im Beispiel zu bleiben – die Kinderkirche mit fünf Mitarbeiterinnen und drei Kindern aufrechterhalten, als die drei Kinder ins Auto setzen, um mit den zwanzig Kindern im Nachbarort Kindergottesdienst zu feiern.

Es ist wohl so: Wer auf einmal sein kirchliches »Nest« verlassen soll, hat mit Misstrauen zu kämpfen. Auch im Miteinander von Kirchengemeinden kann man den sogenannten »Nazareth-Effekt« beobachten: »Was kann da schon Gutes kommen? Können die anderen überhaupt so engagiert wie wir Gottesdienst feiern, Glaubenskurse durchführen oder Kinderarbeit betreiben?« Neid schleicht sich ein, wenn Angebote dort aufblühen, die hier um die Existenz kämpfen. Professor Wilfried Härle pflegt in diesem Zusammenhang auf eine Bitte von Paul Gerhardt in seinem Lied von der »Güldnen Sonne« hinzuweisen. Dort heißt es: »Lass mich mit Freuden ohn alles Neiden sehen den Segen, den du wirst legen in meines Bruders und Nähesten Haus.« (EG 449,6). Eine wahrhaft geistliche Übung!

Ergänzen – nicht ersetzen

Ganz wesentlich und befreiend ist die Erkenntnis: Es geht ums Ergänzen, nicht ums Ersetzen. So steht die Kooperation von sieben Gemeinden im Neuffener Täle bis heute unter dem Motto: »Was wir gemeinsam besser können, machen wir gemeinsam in der Region. Was allein besser geht, machen wir allein in unseren Ortsgemeinden.« Denn die Angebote vor Ort bleiben immer richtig, vorausgesetzt die Ressourcen sind dazu da und sie werden nachgefragt. Außerdem nehmen lokale Angebote ernst, dass Menschen in manchen Lebensphasen, im Alter z. B. oder in der Zeit als junge Familie, nur eingeschränkt mobil sind. Und schließlich sind und bleiben Ortsgemeinden das Rückgrat einer regionalen Entwicklung.

Apropos Neuffener Tal, das Projekt »Evangelisch im Täle« (www.evangelisch-im-taele.de) hat in der Pilotphase für das EKD-Zentrum Mission in der Region eine wichtige Rolle gespielt. Zusammen mit dem Sozialwissenschaftler Daniel Hörsch und Prof. Dr. Heinzpeter Hempelmann vom »Zentrum Mission in der Region« wurden interessante Werkzeuge entwickelt, wie man die Menschen in einer Region in den Blick nehmen kann. Die Erkenntnisse waren dabei oft nicht einmal überraschend, aber hilfreich, sobald sie in Beziehung zur Gemeindearbeit gesetzt wurden.

Wenn z. B. viele Arbeitnehmer pendeln müssen, heißt das, dass der Feierabend sehr kurz ist, Abendveranstaltungen an einem Wochentag schlechte Chancen haben. Also muss der Glaubenskurs eine andere Zeit finden. Sonst scheitert er schon am Datum.

Wenn viele Frauen berufstätig sind, sind die Besucherinnen des Frauenfrühstückstreffens am Mittwochmorgen eher älter. Das kann ganz in Ordnung sein. Wer aber junge Mütter mit einem Thema erreichen will, der muss einen Abend oder einen Wochenendtermin anbieten, vielleicht auch als Ort nicht das Gemeindehaus, sondern den Kindergarten, den die Mütter schon kennen.

Dazu kommt eine gemeinsame Landkarte, der Blick aus der Vogelperspektive auf eine Region mit ihren Ortsgemeinden und Zeit, die Beobachtungen zu teilen und sie auf das eigene missionarische Engagement zu beziehen. All das ebnet den Weg zu neuen Ideen, vor allem aber zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Sich gegenseitig über Engpässe und durch Zeiten der Mutlosigkeit hindurch helfen, dabei das eigene Potenzial entdecken, es ausbauen und einsetzen, darin liegt der Gewinn von einer Mission in der Region.

Und schließlich sind und bleiben Ortsgemeinden das Rückgrat einer regionalen Entwicklung.

Fazit

Mission in der Region heißt gerade nicht: Jetzt müssen wir auch noch die Region in all ihren Facetten erreichen. Es heißt: Wir wachsen in der Region zusammen. Wir entdecken oder entwickeln Verbindungen. Wir stärken das Starke und tragen einander in den Schwächen.

Was einer von uns gut kann, kommt allen zugute. Was vor Ort nur mühsam oder gar nicht mehr möglich ist, überlassen wir getrost anderen. Denn eine gelingende Kooperation führt nicht nur dazu, dass die Ortsgemeinde von einem permanent schlechten Gewissen entlastet wird, weil sie nicht alle Erwartungen bedienen kann. Die Ortsgemeinde lernt gleichzeitig zu entfalten, wofür sie Gaben und Begabungen bei sich entdeckt hat. Und dann kann das, was andere anbieten, als Ergänzung erlebt werden, die dann wieder zurückstrahlt in das Leben vor Ort.

Eine Gemeinde, die nicht nur für sich leuchtet, sondern ihre Strahlkraft in die Region hinein entwickelt, finden wir bereits im Neuen Testament. Von ihr schreibt Paulus: »So habt ihr die Botschaft vom Heiligen Geist mit Freuden angenommen, obwohl ihr deswegen viel Schweres erlebt habt. Auf diese Weise wurdet ihr für alle Christen in Griechenland zum Vorbild. Und nun geht das Wort des Herrn von euch aus zu den Menschen in Griechenland und weit darüber hinaus, denn wo immer wir auch hinkommen, erzählen uns die Leute von eurem Glauben an Gott.« (1. Thessalonicher 1,6ff., NLB) Es ist eine Gemeinde, deren Glaube nicht etwa neidisch macht, sondern motiviert, Jesus nachzufolgen und Gemeinde zu bauen, eine Gemeinde, deren Glaube ausstrahlt in die Region und anderen Mut macht, mit ihren eigenen, aber anderen Ressourcen Menschen mit dem Evangelium von Jesus zu erreichen.

Maike Sachs ist Pfarrerin in St. Johann.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift „Lebendige Gemeinde“, Ausgabe 4-2019. Download- und Bestellmöglichkeit hier: https://lebendige-gemeinde.de/publikationen/ 


Literatur:

Hans-Hermann Pompe, Mitten im Leben. Die Volkskirche, die Postmoderne und die Kunst der kreativen Mission. Neukirchen 2014

Michael Herbst und Hans-Hermann Pompe, Regiolokale Kirchenentwicklung. Wie Gemeinden vom Nebeneinander zum Miteinander kommen können. Herausgegeben vom Zentrum Mission in der Region in der Reihe »Klartext«, Dortmund 2017

Homepage mit weiteren Literaturhinweisen und Material zum Einsehen und Herunterladen: www.zmir.de.