Interview mit Dr. Reinhardt Schink, seit 1. Mai 2019 Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz

 

Aufgewachsen in Baden-Württemberg, Zivildienst und Studium in München, dann beruflich nochmals im Schwabenland und viele Jahre wieder in München. Wo fühlen Sie sich zu Hause?

Bei meiner Familie, und wir sind derzeit in München. Natürlich ist München auch eine absolut lebenswerte Stadt, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Nicht geographische Koordinaten, sondern vertrauensvolle Beziehungen zu lieben Menschen sind die Kennzeichen des Ortes, an dem ich mich zu Hause fühle. Deshalb gehört da immer auch die Gemeinde dazu, an der ich angewachsen ist. Dieser Punkt geht wieder nach München, da unsere geistliche Heimat seit vielen Jahren der CVJM München ist. Und doch: Wann immer ich von München aus kommend die Schwäbische Alb hinunterfahre und die typische schwäbische Landschaft mit den Streuobstwiesen und der Burg Teck am Horizont sehe, wird es mir warm ums Herz.

Was verbinden Sie mit dem Pietismus in Württemberg?

Eine sehr bodenständige, gesunde und dem Leben dienende Art, seinen Glauben engagiert im Alltag zu leben. Ich bin dankbar für die christuszentrierte und fundierte Lehre, die ich dort empfangen habe. Dies alles wäre nicht ohne die vielen Menschen möglich gewesen, die mich auf meiner Entdeckungsreise zu einer persönlichen Jesus-Beziehung treu begleitet haben, und die auch bereit waren, sich ernsthaft mit einem jungen Mann auseinander zu setzen, der auch manche Anfragen u. a. an den Lebensstil und manche pietistischen Sichtweisen hatte. Der aus einem als zu eng empfunden Rahmen während seiner Sturm- und Drangzeit ausbrechen wollte. Rückblickend ist dies für mich ein überwältigender Ausdruck der Liebe solche teilweise auch mühsamen Wege mit Menschen zu gehen und ihnen so zu ermöglichen, zu einem eigenen und authentischen Glauben zu finden.

Mit Blick auf die vor Ihnen liegenden Aufgaben im „Glaubensnetzwerk“ der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA): Was begeistert Sie besonders an der DEA?

Gottes Treue zu seiner Berufung seit mehr als 170 Jahren! Im empfinde es als ein Wunder der Treue Gottes, dass Gott dieses Netzwerk über all die Jahrzehnte und durch alle weltgeschichtlichen Stürme hindurch getragen hat und immer die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt hat, dass die DEA ihre Berufung in den unterschiedlichsten Phasen und Herausforderungen leben konnte. Dankbar bin ich, dass diese Gründungsimpulse immer noch Bestand haben und ein guter Wegweiser für die Zukunft sind. Ich wünsche mir, dass wir in großer Dankbarkeit immer an Gottes Treue erinnern. Auf diesem festen Boden dürfen wir ihm vertrauensvoll alle unsere Strukturen, Formen, Prozesse usw. mit der Bereitschaft zur Verfügung stellen, dass er die Gefäße in der Art und Weise verändern und anpassen kann, dass wir seine Berufung auch im kommenden Wegabschnitt wirkungsvoll leben können. Und obwohl die DEA durchaus eine „ehrwürdige Dame“ ist, erlebe ich diesen Pioniergeist in ganz vielen Begegnungen. Mich begeistert die Bereitschaft, immer wieder auf Jesus zu hören und dann Neues zu wagen.

Württemberg ist ein besonderes Ländle. Was kann der Rest der geistlichen Landschaft Deutschlands von Württemberg lernen – und was kann vor allem Württemberg vom Rest Deutschlands geistlich lernen?

Dies ist eine schwierige Frage, weil sie in einer gewissen Art dazu verführt, in Schubladen und Abgrenzungen zu denken. Aber jenseits regionaler Stereotypen habe ich Eingangs im Blick auf den Pietismus ja bereits einige Schätze genannt, die zu entdecken ich jedem nur wünschen kann. Und deshalb würde ich den „Nicht-Pietisten“ (auch unter den Schwaben!) wünschen, manches Vorurteil gegenüber Pietisten über Bord zu werfen, um diese Schätze entdecken zu können. Pietismus ist weit mehr als „old-fashioned“. Und den Pietisten unter uns wünsche ich, ihr Erbe aus der Erweckungszeit dankbar festzuhalten. Vermutlich werden wir dabei dankbar staunend entdecken, wie Jesus sein Volk überall um sich sammelt. Und dies gilt auch, wenn deren Stallgeruch ungewohnt und ihre Aussprache nicht schwäbisch sein sollte.

Stichwort Digitalisierung: Welche App, welche Smartphone-Anwendung möchten Sie als Christ nicht mehr missen?

Es gibt viele tolle Apps rund um die Bibel und den Glauben, die ich als sehr hilfreich empfinde. Podcasts ermöglichen den Zugriff auf ein beinahe unerschöpfliches Predigt-Reservoir. Natürlich können sie nie einen Gottesdienst und die persönliche Gemeinschaft mit Geschwistern ersetzen, aber nie war es so einfach, sich mitten im Alltag eine Predigt anzuhören und hilfreiche geistliche Impulse zu bekommen. Jenseits der „frommen“ Apps sind die Reise-Apps mit Zugverbindungen, Landkarten, Stadtplänen mit Verbindungen des Öffentlichen Nahverkehrs, Ticket-Wallets etc. eine sehr wertvolle Hilfe, da ich viel unterwegs. Aber wehe mir, wenn die Technik streiken sollte oder ich mein Smartphone gar verlegt hätte. Ich mag nicht daran denken. Können wir bitte von etwas Angenehmeren sprechen?

Welches Buch halten Sie derzeit für ganz besonders lesenswert?

Der versiegelte Engel, eine Erzählung des  russischen Schriftstellers Nikolai Leskow von 1873. Gerade wegen ihres Alters hilft sie, unsere heutige Zeit und unser Glaubensverständnis zu reflektieren. Zudem ermöglicht sie einen interessanten Blick in die Welt der Orthodoxie mit ihrem ganz eigenen Welt- und Glaubenszugang, der so ganz anders als unser westlich geprägtes Verständnis ist.

Die Fragen stellte Ute Mayer, Redaktionsleitung.

Das Interview erscheint in der Ausgabe 2-2019 „Lebendige Gemeinde“ in gekürzter Version.

Foto-Credit: Christian Hönig